Wiener Tafelspitz: Der kaiserliche Genussklassiker

20. April 2025

Wiener Tafelspitz

© Dietmar Rauscher/Shutterstock.com

Kaum ein Gericht ist so eng mit der kulinarischen Identität Wiens verbunden wie der Tafelspitz. Saftig gekochtes Rindfleisch, serviert mit Apfelkren, Schnittlauchsauce und Erdäpfelschmarrn – dieses Traditionsgericht steht seit Jahrhunderten für das Beste, was die Wiener Küche zu bieten hat. Doch was genau macht den Tafelspitz so besonders? Woher stammt er? Und wo schmeckt er heute am besten? Dieser Beitrag geht der Geschichte, Zubereitung und Kultur rund um den Tafelspitz auf den Grund und bringt dich kulinarisch mitten ins Herz der Wiener Esskultur.

Die Geschichte des Tafelspitz

Die Ursprünge des Gerichts reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Es war Kaiser Franz Joseph I., der den Tafelspitz zu seiner Leibspeise erhob. Fast täglich wurde ihm gekochtes Rindfleisch serviert, das in einer Suppe aus Gemüse und Gewürzen langsam gegart wurde. Der Begriff „Tafelspitz“ bezeichnet dabei sowohl das Gericht als auch das gleichnamige Fleischstück – ein besonders zarter Teil des Rindes aus dem hinteren Schlüsselbein, der durch seine Marmorierung beim Kochen saftig bleibt.

Der Tafelspitz war aber nicht nur am Kaiserhof beliebt. Auch im Bürgertum entwickelte sich das Gericht zum Sonntagsklassiker. Es verband Bodenständigkeit mit Eleganz und galt als Zeichen guter Hausmannskost mit raffiniertem Einschlag. Die Tradition des gekochten Rindfleischs geht sogar noch weiter zurück: Bereits im Mittelalter war gekochtes Fleisch ein gängiger Bestandteil der Speisenfolge, allerdings wurde es meist mit Senf und Brot gegessen. Erst in der Kaiserzeit wurde der Tafelspitz zur Kunst erhoben.

Die Zubereitung: Ein Spiel aus Zeit, Qualität und Liebe

Ein gelungener Tafelspitz beginnt mit dem richtigen Fleisch. Das klassische Stück stammt aus dem hinteren Rinderrücken, es ist von einer feinen Fettkante durchzogen und wird – das ist entscheidend – langsam in einer klaren Rindssuppe gegart. Keine Hektik, keine Abkürzungen. Die Garzeit beträgt oft mehrere Stunden.

Zunächst wird eine gute Rindssuppe angesetzt: Knochen, Suppenfleisch, Wurzelgemüse, Zwiebel (meist mit Schale angeröstet), Lorbeer, Pfefferkörner und ein wenig Liebstöckel. Diese Grundlage entscheidet über den Geschmack. Erst wenn die Suppe klar ist, wird das Tafelspitz-Stück eingelegt und langsam gegart. Das Fleisch sollte zart sein, aber nicht zerfallen. Die ideale Wassertemperatur liegt knapp unter dem Siedepunkt.

Traditionell wird der Tafelspitz mit zweierlei Saucen serviert: Apfelkren (eine Mischung aus geriebenem Apfel und frischem Kren) sowie Schnittlauchsauce (eine cremige Sauce mit Ei, Senf und viel frischem Schnittlauch). Dazu kommen geröstete Erdäpfel, Erdäpfelschmarrn, gekochtes Wurzelgemüse oder Semmelkren. Oft wird vorab die Rindssuppe als Vorspeise serviert, mit Frittaten, Griesnockerln oder Leberknödeln.

Varianten und moderne Interpretationen

Obwohl das Grundrezept traditionell ist, gibt es zahlreiche Varianten. Manche köcheln das Fleisch mit Markknochen, um der Suppe zusätzliche Tiefe zu verleihen. Andere reichen als Beilage in Butter sautiertes Wurzelgemüse oder servieren eine leichte Meerrettichschaum-Sauce.

In der gehobenen Gastronomie finden sich moderne Spielarten: Tafelspitz wird sous-vide gegart und hauchdünn tranchiert, mit Texturen von Kren und Apfel, reduzierter Jus und Kartoffelespuma. In der Fusion-Küche wird er asiatisch interpretiert – mit Sojasaucenreduktion, Pak Choi oder Ingwer-Kren.

Vegetarische Varianten spielen mit der Idee des „Falschen Tafelspitz“ – beispielsweise aus Sellerie, Rote Rüben oder Pilzen, die in einer aromatischen Gemüsebrühe gegart und mit klassischen Beilagen serviert werden. Auch veganer Apfelkren auf Basis von Sahnemeerrettich und pflanzlicher Butter findet Anklang.

Wo in Wien schmeckt der Tafelspitz am besten?

Die Zahl an Wirtshäusern, Restaurants und Gasthäusern, die den Tafelspitz servieren, ist groß. Doch einige Lokale gelten als besonders empfehlenswert:

1. Plachutta
Kein anderes Lokal ist so berühmt für seinen Tafelspitz wie das Plachutta. Hier wird er zelebriert: Das Fleisch kommt in der Kupferpfanne direkt an den Tisch, die Suppe wird vorab serviert, die Beilagen sind klassisch. Der Service ist auf das Erlebnis abgestimmt, die Auswahl an Fleischstücken groß. Reservieren ist Pflicht!

2. Gasthaus Pöschl
Ein bodenständiger Klassiker mit großartiger Qualität. Der Tafelspitz ist zart, die Beilagen liebevoll zubereitet und die Atmosphäre entspannt-wienerisch. Besonders beliebt ist die Kombination mit klassischem Erdäpfelschmarrn.

3. Zum Schwarzen Kameel
Zwar eher für Aufstrichbrötchen bekannt, bietet das Traditionshaus auch exzellenten Tafelspitz zur Mittagszeit. Die Qualität ist hoch, das Ambiente stilvoll.

4. Vestibül
Im prunkvollen Ambiente des Burgtheaters serviert das Vestibül eine moderne, elegante Interpretation des Gerichts. Hier wird die klassische Wiener Küche mit feinem Fine Dining kombiniert.

5. Restaurant Meissl & Schadn
Das Lokal pflegt die Wiener Küche mit viel Hingabe. Neben Schnitzel steht auch Tafelspitz auf der Karte – traditionell, hochwertig, aber in entspanntem Ambiente.

6. Gasthaus zur Oper
Mitten in der Innenstadt wird hier ehrliche Wiener Hausmannskost serviert. Der Tafelspitz ist ein Highlight auf der Karte.

Der Tafelspitz als kulturelles Phänomen

Der Tafelspitz ist mehr als nur ein Gericht. Er ist ein Symbol für Wiener Lebensart: gediegen, aber nicht abgehoben, klassisch, aber wandelbar. In kaum einer anderen Stadt hat die Kulinarik einen so festen Platz im Alltagsleben wie in Wien. Der Tafelspitz steht exemplarisch dafür, wie Genuss, Geschichte und Gesellschaft zusammenkommen.

In vielen Haushalten ist er noch heute ein Sonntagsessen, das Zeit und Hingabe erfordert. Die Gerichte rund um gekochtes Rindfleisch, wie sie in der Wiener Küche gepflegt werden, sind einzigartig in ihrer Vielfalt und Raffinesse. Es geht nicht nur um das Fleisch, sondern um das kulinarische Gesamterlebnis: Suppe, Markknochen, Fleisch, Beilagen, Saucen. Ein Mahl in mehreren Akten.

In den letzten Jahren erlebt der Tafelspitz eine Renaissance, auch bei jüngeren Generationen, die Wert auf Regionalität und Slow Food legen. Lokale Produzenten liefern das Fleisch, die Wurzeln stammen vom Bauernmarkt, die Küche setzt auf klare Aromen.

Tipps für zuhause: So gelingt der Tafelspitz

Wer sich selbst an den Klassiker wagen möchte, sollte auf folgende Punkte achten:

  • Qualität des Fleisches: Am besten beim Fleischhauer des Vertrauens kaufen und um Tafelspitz vom jungen Rind bitten. Das Fett darf ruhig dranbleiben.
  • Geduld: Nicht aufkochen lassen, sondern simmern lassen. Das macht das Fleisch zart. Zwei bis drei Stunden Kochzeit sind keine Seltenheit.
  • Klare Suppe: Für die Suppe die Zwiebel mit Schale anrösten – das sorgt für Farbe und Aroma. Nicht umrühren, damit sie klar bleibt.
  • Kren & Apfel: Frisch geriebener Kren und säuerliche Apfelsorten (z. B. Boskoop) machen den Unterschied. Alles frisch reiben, nicht aus dem Glas.
  • Beilagen nicht vergessen: Schnittlauchsauce, Erdäpfelschmarrn, Wurzelgemüse und Semmelkren ergeben die klassische Kombination.
  • Gemütlichkeit: Tafelspitz braucht keine Eile. Er ist ein langsames, geselliges Gericht. Perfekt für lange Sonntage.

Fazit: Ein Gericht mit Seele

Der Wiener Tafelspitz ist mehr als ein Rezept. Er ist gelebte Esskultur, kulinarisches Erbe und ein Ausdruck von Lebensart. Wer ihn probiert, schmeckt Geschichte – und genießt ein Stück Wien auf dem Teller. Ob im traditionellen Gasthaus, im gehobenen Restaurant oder am heimischen Herd: Der Tafelspitz bleibt, was er ist – ein kaiserlicher Klassiker für Genießer. Und ein Zeugnis dafür, wie einfach gute Küche sein kann, wenn man sie mit Hingabe zubereitet und mit Freude genießt.