Die Ankeruhr in Wien: Zeitreise im Jugendstil

3. Mai 2025

Ankeruhr in Wien

© Mistervlad/Shutterstock.com

Mitten im Herzen der Wiener Innenstadt, am Hohen Markt, zieht ein architektonisches Kleinod täglich hunderte Blicke auf sich: die Ankeruhr. Sie ist mehr als nur eine Uhr – sie ist ein Gesamtkunstwerk, ein technisches Wunderwerk und eine Hommage an die Geschichte Wiens. Wer sie um Punkt 12 Uhr mittags erlebt, versteht schnell, warum dieses kunstvolle Zeitinstrument weit mehr ist als ein stummer Zeitmesser. In diesem Blogartikel stellen wir die Ankeruhr in all ihren Facetten vor: ihre Geschichte, ihre Funktion, ihre Symbolik und ihren Platz im kulturellen Gedächtnis der Stadt.

Der Hohen Markt: Historische Bühne für die Ankeruhr

Der Hohe Markt ist einer der ältesten Plätze Wiens. Schon zur Römerzeit war er Zentrum von Vindobona, dem Legionslager, aus dem das spätere Wien hervorging. Im Mittelalter wurde hier Gericht gehalten, später war er ein wichtiger Handelsplatz. Die barocke Vermählungssäule und die prächtige barocke Fassade der Umgebung zeugen bis heute von der historischen Bedeutung dieses Ortes.

Die Ankeruhr fügt sich in dieses architektonische Ensemble als spätes Jugendstilwerk ein – ein stilistischer Kontrapunkt, der Geschichte, Kunst und Zeit zu einem faszinierenden Schauspiel verbindet.

Entstehungsgeschichte: Von der Versicherung zum Gesamtkunstwerk

Die Ankeruhr wurde zwischen 1911 und 1914 von der Anker-Versicherung in Auftrag gegeben. Das Ziel war nicht nur, ein dekoratives Element am Hauptsitz des Unternehmens zu schaffen, sondern auch ein Zeichen von Modernität, Fortschrittsglauben und Bürgerstolz zu setzen. Die Planung und Umsetzung übernahm der Maler und Bildhauer Franz Matsch, ein ehemaliger Mitstreiter von Gustav Klimt in der Künstlergruppe „Künstler-Compagnie“.

Franz Matsch entwarf nicht einfach nur eine Uhr. Er entwarf ein mechanisches Theater, das gleichzeitig Historienbild, technisches Schauspiel und Ausdruck des Jugendstils ist.

Die Uhr wurde als Brückenbauwerk zwischen zwei Gebäudeteilen konzipiert. Sie verbindet das damalige Verwaltungsgebäude der Anker-Versicherung mit dem gegenüberliegenden Wohnhaus und überspannt dabei einen Durchgang, der bis heute passierbar ist.

Aufbau und Technik: Mechanik mit Geschichte

Die Ankeruhr ist rund sieben Meter breit und vier Meter hoch. Im Zentrum des Uhrwerks zieht sich stündlich eine historische Figur von links nach rechts über das Zifferblatt. Insgesamt gibt es zwölf Figuren, die jeweils eine Stunde des Tages markieren.

Jede dieser Figuren steht für eine bedeutende Persönlichkeit der Wiener Geschichte. Zu ihnen gehören unter anderem:

  1. Markomannenfürst (um 400 n. Chr.)
  2. Karl der Große
  3. Herzog Leopold VI.
  4. Rudolf von Habsburg
  5. Walther von der Vogelweide
  6. Hans Puchsbaum (Baumeister des Stephansdoms)
  7. Prinz Eugen von Savoyen
  8. Maria Theresia
  9. Joseph Haydn
  10. Graf Joseph Radetzky
  11. Erzherzog Karl
  12. Dr. Karl Lueger (umstrittene Figur, damaliger Bürgermeister von Wien)

Jede Figur ist aufwendig gestaltet, vielfarbig bemalt und von einem eigenen musikalischen Thema begleitet. Die Musik stammt aus verschiedenen Epochen und wird über ein ausgeklügeltes Spielwerk abgespielt.

Einmal täglich, um 12 Uhr mittags, ziehen alle zwölf Figuren in einem festlichen Reigen über das Zifferblatt – begleitet von einem zwölfminütigen musikalischen Potpourri. Dieses Spektakel zieht Touristen und Wiener gleichermaßen in seinen Bann.

Symbolik und Jugendstil-Elemente

Die Ankeruhr ist nicht nur ein Zeitmesser, sondern auch ein typisches Werk des Jugendstils. Ihre Ornamente, floralen Elemente und die Verbindung von Technik und ästhetischer Gestaltung stehen für den Anspruch dieser Kunstrichtung, das Nützliche mit dem Schönen zu verbinden.

Auffällig sind:

  • Die goldenen Ornamente und emaillierten Flächen
  • Die aufwendig geschmiedete Uhrkrone
  • Die Sonne im Zentrum des Zifferblattes, Symbol für die Zeit und das Leben

Matsch entwarf die Uhr mit dem Gedanken, Vergangenheit und Gegenwart, Funktionalität und Kunst, Technik und Emotion zu verschmelzen. Das ist ihm auf eindrucksvolle Weise gelungen.

Die Ankeruhr im Wandel der Zeit

Seit ihrer Fertigstellung im Jahr 1914 hat die Ankeruhr einiges erlebt. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie leicht beschädigt, aber bald wieder restauriert. In den 1950er- und 1980er-Jahren wurde sie technisch überholt. Die letzte umfassende Sanierung fand im Jahr 2005 statt, um sie für die nächsten Jahrzehnte fit zu machen.

Heute wird die Uhr von der Stadt Wien betreut. Sie ist als Denkmal geschützt und Teil vieler Stadtführungen. Besonders beliebt ist das Schauspiel zur Mittagsstunde, wenn sich Menschentrauben vor dem Durchgang am Hohen Markt versammeln.

Ein städtisches Ritual

Für viele Wiener:innen gehört die Ankeruhr zum Stadtbild wie der Stephansdom oder die Fiaker. Sie ist Teil des Alltags, ein verlässlicher Anzeiger der Zeit und ein vertrauter Treffpunkt. Das Warten auf die Figurenprozession um 12 Uhr hat etwas Meditatives, ja fast Feierliches.

Auch für Kinder ist die Ankeruhr ein faszinierendes Schauspiel – eine mechanische Erzählmaschine, die Geschichte lebendig werden lässt. Und für Tourist:innen ist sie eines jener charmanten Details, die Wien so einzigartig machen.

Fazit: Mechanik trifft Magie

Die Ankeruhr am Hohen Markt ist ein Symbol für das Wien der Jahrhundertwende – eine Zeit, in der Kunst, Technik und Urbanität auf besondere Weise zusammenfanden. Sie ist mehr als ein Denkmal. Sie ist ein Ausdruck von Zeitbewusstsein, von Gestaltungslust und von Liebe zum Detail.

Wer sie erlebt, wird Zeuge einer selten gewordenen Form des öffentlichen Spiels mit Zeit, Raum und Geschichte. Ein Besuch lohnt sich – und sei es nur, um sich für ein paar Minuten dem Zauber der langsamen Mechanik zu überlassen.

Denn in einer Welt, die immer schneller tickt, ist die Ankeruhr ein poetischer Gegenentwurf. Sie zeigt nicht nur die Zeit. Sie gibt ihr Bedeutung.

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